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Wir reisen weniger und kaufen vermehrt lokal ein. Lieferketten sind zusammengebrochen und mussten neu organisiert werden. Was bedeutet das alles für unsere globalisierte Welt? Christoph Schenk, CIO der Zürcher Kantonalbank, versucht einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Ein Gastbeitrag von Christoph Schenk
Mit der schrittweisen Aufhebung der behördlichen Massnahmen im Kampf gegen die Coronapandemie nehmen die wirtschaftliche Erholung und das gesellschaftliche Leben allmählich wieder Fahrt auf. Doch die Diskussionen über die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft stehen indes erst am Anfang. Denn die seit Monaten anhaltende globale Ausnahmesituation hat die Welt in ihre tiefste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geschickt. Die staatlich angeordnete Mobilitätseinschränkung von acht Milliarden Menschen sowie die temporären Schliessungen von Millionen von Betrieben hat uns alle gezwungen, unseren Konsum herunterzufahren.
Die Grenzen der Globalisierung werden sichtbar
Neben den verheerenden wirtschaftlichen Folgen führt uns die aktuelle Situation aber auch vor Augen, wie sehr wir die Umwelt bisher überbeansprucht haben. So sanken die CO2-Emissionen in vielen Grossstädten in Folge des geringeren Verkehrsaufkommens und der gedrosselten Industrieproduktion drastisch. Die Angst vor der Abhängigkeit von anderen Ländern führte darüber hinaus zum vermehrten Aufruf nach Konsum lokaler Produkte. Werden wir also von nun an nachhaltiger konsumieren? Gemäss Studien, die in den letzten Wochen und Monaten auf die Schnelle durchgeführt wurden, soll die Coronakrise unser Verbraucherverhalten nachhaltig beeinflussen. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen würden in Zukunft stärker priorisiert. Meiner Ansicht nach darf zumindest daran gezweifelt werden.
Ökonomisch macht die Globalisierung Sinn
Die Globalisierung kann in meinen Augen zwar kurzfristig gedrosselt, jedoch nicht auf Knopfdruck abgeschaltet werden. Ökonomische Interessen stehen immer noch im Vordergrund. So führen zwar aktuelle Lieferverzögerungen oder Unterbrüche bei den Wertschöpfungs- und Lieferketten dazu, dass die global tätigen Unternehmen ihre Strategie überdenken. Allerdings geht es dabei mehr um das Wort der Stunde «Anti-Fragilität» und will heissen: Wo strategisch nötig, holen wir die Herstellung ins eigene Land zurück. Wo möglich, wird die Produktion in verschiedene Drittländer, beispielsweise Indien, verlagert, um so Kosten zu sparen und die Lieferkette zu diversifizieren. Immer noch entscheiden Unternehmen gemäss der ökonomischen Theorie, die besagt, dass die Ressourcen dort alloziert werden sollen, wo sie am effizientesten eingesetzt werden können. Wo also viel Land verfügbar ist, werden mehr Agrargüter produziert. Wo Arbeitskräfte günstiger sind, finden mehr arbeitsintensivere Produktionsprozesse statt. Diese Art von Globalisierung hat in meinen Augen die Ungleichheit zwischen Schwellen- und Industrieländern verringert auch wenn sie nicht nur Gewinner hervorgebracht hat.
Zuerst kommt der Eigennutzen
Eine starke De-Globalisierung wäre aus rein ökonomischer Sicht ein Schritt zurück. Die einzelnen Staaten müssten bewusst wirtschaftlichen Interessen weniger Gewicht verleihen und stattdessen ökologische Ziele priorisieren. Eine solche Entscheidung hätte für das Land und auch für den Rest der Welt weitreichende, für die Wirtschaft leider auch negative, Folgen. Umgekehrt wäre das Land nicht alleiniger Nutzniesser ökologischer Ziele, die vor allem einen globalen Effekt hätten. Was für Regierungen gilt, trifft auch auf die meisten Konsumenten zu: Die Einschränkung beim Verzicht, zum Beispiel auf Flugreisen für den Urlaub oder auf das private Auto für den täglichen Arbeitsweg, ist oft grösser als der persönliche Nutzen – zum Beispiel bessere Luftqualität.
Es muss ein Anreizsystem geschaffen werden
So steht dem zweifelsohne in den letzten Jahren zugenommenen Nachhaltigkeitsbewusstsein auch die Bequemlichkeit von uns Konsumenten gegenüber. Um die aktuelle Situation als Anlass zu nehmen, den nachhaltigen Konsum langfristig zu fördern, müssten daher jetzt die richtigen Rahmenbedingungen mit einem entsprechenden Anreizsystem auch für den Einzelnen geschaffen werden, indem zum Beispiel die Preise für die Freizeitmobilität angehoben werden. Eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung dafür ist folglich ein kulturelles Umdenken, was bekannterweise nicht von heute auf morgen geschieht. Die aktuelle Krise vermag diesem Umdenkprozess etwas Rückenwind zu verschaffen. Zu einem abrupten Paradigmenwechsel wird sie jedoch kaum führen. Auch weil davon auszugehen ist, dass unsere Gesellschaft in nächster Zeit wohl oder übel mit der dauernden Existenz des Coronavirus zu leben lernen wird. Dies könnte rascher gehen als allgemein angenommen – und die alten Verbrauchergewohnheiten wären wohl wieder «en vogue», bevor ein kulturelles Umdenken hätte stattfinden können.
4. September 2020
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