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Zurich Center for Integrative Human Physiology (ZIHP)

Neue Chancen in der medizinischen Versorgung dank der Corona-Krise

Kann eine Krise tatsächlich Gefahr und Gelegenheit beinhalten? Auch wenn Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager, Titularprofessor an der Universität Zürich und Chefarzt am Institut für Dermatologie und Venerologie des Stadtspitals Waid und Triemli, am Anfang nicht daran glaubte, liess er sich gerne vom Gegenteil überzeugen, wie das Beispiel der Teledermatologie zeigt. 

 

Stephan Lautenschlager

 

Portrait Lautenschlager
Zoom (JPEG, 210 KB)
Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager ist
Titularprofessor an der Universität Zürich
und Chefarzt am Institut für Dermatologie
und Venerologie des Stadtspitals Waid und
Triemli.

 

Ein neues Virus aus China hat die Welt in Angst und Schrecken versetzt und in einen Krisenmodus katapultiert. Doch John F. Kennedy sagte einst: «when written in Chinese, the word «crisis» is composed of two characters. One represents danger and the other represents opportunity. In a crisis, be aware of the danger – but recognize the opportunity »*.

 

Auf den ersten Blick fiel es mir jedoch schwer im Corona-Virus - das oft auch als entmenschlichend bezeichnet wurde - irgendwelche Möglichkeiten zu erkennen, die sich als positiv für die Gesellschaft erweisen könnten.

 

Wo sind alle Menschen mit Hauttumoren und Infektionen?
Im Gegenteil, als Arzt fielen mir vor allem die Gefahren für die zahlreichen Mitmenschen auf, die bei uns in der dermatologischen Sprechstunde mit diversesten Problemen Hilfe suchen. Darunter auch viele Patientinnen und Patienten, die man über Jahre hinweg schätzen gelernt hat. Dabei geht es mir nicht nur um die Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus. Denn die unmittelbare Folge der behördlich angeordneten Restriktionen war vor allem eine ungewohnte Stille in der Arztpraxis, zusammen mit der bangen Frage: Wo sind all die Menschen mit den Hauttumoren, Hautinfektionen und weiteren Erkrankungen, die wir sonst täglich mehrfach sehen? Besteht plötzlich kein dringlicher Bedarf an Abklärungen und Therapien mehr? Prioritäten werden aus existenziellen Gründen völlig neu geordnet und das macht Angst.

 

Die Krise als Chance für die Teledermatologie
Doch unsere Chance, Positives aus der Krise zu gewinnen, liegt im grundsätzlichen Umgang mit der Situation. Und siehe da: In unserer Gesellschaft herrscht, zumindest aktuell, eine beispiellose Solidarität, wie sie in früheren Gesundheitskrisen nicht vorhanden war. Es ist ein grosser Wille vorhanden, einen Beitrag zur guten Überwindung der Krise zu leisten. Sei es im Alltag bei der Nachbarschaftshilfe, in der Grundversorgung oder in der Forschung und Entwicklung. Das lässt hoffen und aufatmen. Und erstaunt, denn erwartungsgemäss würde «Angst aus uns wilde Egoisten machen», wie der Deutsche Soziologe Heinz Bude kürzlich sagte.

 

Auch ich als Dermatologe sehe in unserem Fachgebiet positive Entwicklungen, die das Potential haben, die Krise zu überdauern [1]. Innerhalb weniger Wochen haben wir neue Technologien, die früher über Jahre juristisch blockiert waren, doch noch eingeführt. Gerade in einer Zeit, in der Kontakte vermieden werden sollten,
hat sich der Einsatz der Teledermatologie ausserordentlich bewährt. Mit unserem System «Derma2go» können isolierte Patienten und Patientinnen einfach über eine Smartphone-App Aufnahmen von Hautveränderungen unter Angabe der Symptome und Vorgeschichte aufladen und dann innerhalb von 24 Stunden durch unsere Kaderärzteschaft beurteilen lassen. Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen, dass sich damit nicht nur die sogenannten digital natives, sondern auch betagte Patientinnen und Patienten gemeldet haben. So konnten wir sie trotz «physical distancing» zumindest teilweise weiter betreuen. Häufig liessen sich Fragestellungen abschliessend beantworten, jedoch konnten auch dringliche und unklare Fälle eruiert und doch einer näheren Abklärung und Therapie zugeführt werden.

 

Dieses Vorgehen entpuppte sich als wertvolles Triage-Instrument, das sich auch künftig als Ressourcen- und kostensparend erweisen könnte. Das grösste Hindernis - die bürokratischen Hürden - konnten wir erst mithilfe des Virus knacken. Es wäre wünschenswert, wenn diese Entwicklung auch nach der Krise nachhaltig erhalten bleiben würde. Vor allem Verhandlungen mit den Krankenkassen zur Kostenübernahme dieser Online-Konsultationen sind jetzt dringlich zu führen.

 

Aber nicht nur das. Die veränderten Prioritäten könnten in der Dermatologie den Umgang mit vermeintlichen ästhetischen Defiziten zurechtrücken. Muss wirklich jedes Fältchen verschwinden? Haben wir uns denn unsere Lachfalten nicht verdient? Definieren wir uns künftig (zumindest etwas) weniger über Äusserlichkeiten? Dies würde in der Dermatologie wieder vermehrt den Fokus auf Krankheiten und nicht beauty und life-style richten. Ein Trend, dem durchaus optimistisch entgegengeblickt werden kann. Zunehmend bin ich von der Richtigkeit der Aussage von John F. Kennedy überzeugt: Die Krise besteht aus Gefahr und Gelegenheit gleichermassen.

 

[1] Greis C, Meier Zürcher C, Djamei V, Moser A, Lautenschlager S, Navarini AA, Unmet digital health service needs in dermatology patients, J Dermatolog Treat. (2018); 29:643-647

 

* Übersetzung: «Das Wort «Krise» setzt sich im Chinesischen aus 2 Schriftzeichen zusammen. Das erste bedeutet «Gefahr» und das zweite «Gelegenheit». Während einer Krise sei dir der Gefahr bewusst, aber erkenne die Chance».

 

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